Glencoe - das bekannteste Tal der Highlands
Glencoe – das bekannteste Tal der Highlands

Glencoe – Das berühmte Tal der Highlands

Eine unberührte Berglandschaft, die raue Welt der Clans und gälische Traditionen – das ist Glencoe in den Highlands.

Diese Landschaft raubt einem buchstäblich den Atem. Vom Parkplatz an der Landstraße A82 führt ein Pfad steil bergan. Wie Dampfschwaden steigen in schneller Reihenfolge Wolken aus den umliegenden Tälern empor. Sie geben den eben noch scharfen Konturen der Berggipfel eben jene schemenhafte Ungewissheit, die Wanderer automatisch nach dem Kompass greifen lässt. Das Gras hat in diesem Licht, um das sich Sonne und Regen streiten, eine fast unnatürlich leuchtend grüne Farbe angenommen. In der Ferne ist im verwaschenen Blau die Wasseroberfläche von Loch Leven so sehen.

Glencoe ist das bekannteste Tal der schottischen Highlands. Das Tal hat die Form eines gebeugten Arms. Im Westen wird es begrenzt von Loch Leven, im Osten vom Hochmoor Rannoch Moor, einer der einsamsten und unwirtlichsten Gegenden Großbritanniens. Nach Süden hin liegen gewaltige Höhenzüge, die für Ortsunkundige unüberwindlich sind. Im Norden schiebt die Bergkette von Aonach Eagach ihren steinernen Riegel vor das Tal. Vor allem im Winter, wenn die Schneestürme toben, wird Glencoe zu einer Festung, in die sich kein Fremder hineinwagt. Und zu einer Falle, aus der niemand entkommt, der zwischen den blankgefrorenen Felsspalten Zuflucht sucht.

Glencoe: Das Bergmassiv Three Sisters

Über den Autoverkehr auf der Landstraße A82 wachen die drei Schwestern (Three Sisters of Glen Coe). Der strenge Faltenwurf der Felswände nötigt den Vorbeifahrenden einigen Respekt ab. Was hinter den Gipfeln liegt, lässt sich von der Straße aus nicht einmal ahnen: Einsame Wanderwege. Grandiose Stille.

Der Kleine Hirte (Gälisch: Buchaille Etive Beag) bietet uns seinen Rücken für eine Verschnaufpause an. Zwischen zwei Gipfeln befindet sich ein breiter Grat, auf dem wir einen Moment stehen bleiben. Diese Tour eignet sich gut für einen Tagesausflug. Der Weg ist befestigt, liegt nicht weit von der Straße entfernt und führt Wanderer dennoch tief nach Glencoe hinein. Kleine Rinnsaale folgen rechts und links dem Verlauf des Schotterweges. Nur das Knirschen der Steine unter den Wanderschuhen ist zu hören und der Wind. Er reißt an der Jacke und lässt die Kapuze flattern.

Glencoe - das geheimnisvolle Tal
Glencoe – das geheimnisvolle Tal

Glencoe: Der West Highland Way

Vom Ferienort Tyndrum führt eine alte Militärstraße zur Brücke Bridge of Orchy durch die kargen Berge der westlichen Highlands. Jedes Jahr laufen Tausende Wanderer auf diesem alten Pfad entlang, der auf den Karten als der bekannte Fernwanderweg „West Highland Way“ markiert ist. Ein Abschnitt auf dieser alten Militärstraße ist „Devil´s Staircase“, die Teufelstreppe, die nicht leicht zu bewältigen ist. Sie zählt zu den spektakulärsten Teilstücken des beliebten Fernwanderwegs.

Unweit der drei Schwestern, den Three Sisters of Glencoe, liegt das Verlorene Tal („Lost Valley“). Es entstand durch einen Steinrutsch, der das Haupttal von dem Seitental „Lost Valley“ abtrennte. Dort versteckten die Viehdiebe vom Clan der MacDonalds früher geraubte Rinder und Schafe. Nun ist dieses Nebental ein beliebtes Ziel für eine mittelschwere Wanderung von rund vier Kilometern Länge und rund 330 Höhenmetern, die überwunden werden müssen.

Glencoe: Ein erloschener Supervulkan

Die Berge sind mehr als 400 Millionen Jahre alt. Zum Vergleich: Die Alpen kommen „nur“ auf 100 Millionen Jahre. Die Gipfel wurden von der Zeit rund geschliffen. Nun liegen sie unter einer dünnen Grasdecke wie die runden Rücken bewegungsloser Ur-Tiere, die sich erst dann wieder rühren, wenn das Ende aller Dinge gekommen ist. Schmelzwasser und Frost haben tiefe Risse im Gestein hinterlassen. In diesen Rissen sammelt sich Feuchtigkeit. Sie schafft ein besonderes Klima und eine Fauna mit langsam wachsenden Moosen und Flechten, die es in dieser Form nur in wenigen Ländern auf der Welt gibt.

Das heutige Tal Glencoe wurde von Feuer und Eis geformt. Vor 420 Millionen Jahren war ganz Glencoe ein Supervulkan, der für ein gewaltiges geologisches Schauspiel sorgte: Der rund acht Kilometer lange Vulkangipfel brach ab und stürzte rund 1400 Meter tief in den eigenen Krater. Was nun geschah, haben Forscher mit einer vollen Weinflasche verglichen, die man mit einem Korken verschließt: So wie der Wein an den Seite der Flasche hinausläuft, verdrängte das herabstürzende Vulkanteil flüssiges Granitgestein, das nun über die Ränder des noch bestehenden Kraters schwappte. Die nachfolgende Eiszeit trug das weichere Gestein ab und ließ nur den harten Granit stehen. So entstanden die drei Schwestern.

Weiter südlich liegen die fünf Gipfel von Buchaille Etive Mor (Gälisch: der Große Hirte) nebeneinander wie die Fingerknochen einer locker geballten Faust. Der Große Hirte erhielt seinen Namen, weil die Clans früher an den flacheren Bergflanken ihre Rinderherden weideten. Über all dem wacht in unmittelbarer Nähe Bidean nam Bian, der höchste Berg in Argyll.

Glencoe - das geheimnisvolle Tal
Glencoe – das geheimnisvolle Tal

Das Massaker von Glencoe

In dieser Bergwelt ereignete sich im Jahr 1692 ein Verbrechen, das bis heute viele Menschen in Schottland beschäftigt. Beim so genannten Massaker von Glencoe wurde der Clan der MacDonalds quasi ausgelöscht. 40 bis 70 Menschen kamen ums Leben, schätzen Historiker. Wie viele Clanmitglieder in den frühen Morgenstunden des 13. Februar 1692 den Tod fanden, ist bis heute unklar. Viele MacDonalds flüchteten sich in der Winternacht in die eisigen Arme des Kleinen Hirten und des Großen Hirten. Doch die haben sie bis heute nicht losgelassen.

Über das Massaker von Glencoe ist viel geschrieben worden, und die Meinungen gehen dabei oft weit auseinander. Inzwischen gehen Wissenschaftler aber mehrheitlich davon aus, dass die MacDonalds in ihrer Heimat Glencoe das Bauernopfer in einem geopolitischen Schachspiel wurden, von dem sie in der Abgeschiedenheit der Highlands nicht einmal etwas ahnten.

Der englische König Wilhelm III. wollte die Highlands möglichst schnell befrieden, um mehr Truppen in einen Krieg mit Frankreich schicken zu können. In Südschottland verabscheute man außerdem die traditionelle Lebensweise der Highlander, die nicht mehr in die neue Zeit zu passen schien. Der Clan MacDonald war klein genug, um ohne Risiko ein Exempel statuieren zu können.

Disteln blühen in Glencoe
Disteln blühen in Glencoe

Glencoe: Die politischen Auswirkungen

Das Dokument mit dem Mordbefehl befindet sich heute in der Nationalbibliothek in Edinburgh. Darin heißt es: „Hiermit wird der Befehl erteilt, … alle unter 70 Jahren niederzumachen. Alle Fluchtwege sind abzuschneiden, so dass niemand entkommt.“ Das Massaker ist bis heute auch deshalb unvergessen, weil die Regierungssoldaten vor dem Massaker wochenlang bei den MacDonalds überwintert hatten. Man hatte gemeinsam die Schneestürme abgewartet, Karten gespielt und zusammen gegessen – so, wie es das Gesetz der Gastfreundschaft verlangte. Das war Verrat an den Traditionen der Highlands.

Die politischen Folgen des Massakers waren erheblich. Die althergebrachten Traditionen und Lebensformen der schottischen Clans fanden ein Ende. Das Massaker überschattet die politische Einheit und das Verhältnis von England und Schottland bis heute.

Der Wind spielt mit lilafarbenen Gräsern. Eine Böe nach der anderen lässt bunte Wellen über die Hänge rollen. Auf dem Gipfel des Kleinen Hirten gibt der Himmel allmählich die Sonne frei. Am westlichen Ende des Tals ist nun deutlich die blaue Wasseroberfläche von Loch Leven zu sehen. Dort liegt Eilean Munde, die Toteninsel der Clans.