Ben Nevis: Die Reisereportage
Ben Nevis: Die Reisereportage

Ben Nevis: Das ist ja der Gipfel!

Den höchsten Berg der britischen Inseln sollte man nie unterschätzen, heißt es. Die Reise-Reportage. 

Ben Nevis ist ein Berg mit Kultfaktor. Der Hüter der Highlands, weithin sichtbar und dennoch geheimnisvoll. Niemandem gelänge es, diesen Gipfel wirklich kennenzulernen, schreibt der schottische Bergsteiger W.H. Murray in seinem Buch „Undiscovered Scotland“: „Kein anderer Berg wurde so oft von enttäuschten Bergsteigern verflucht; oder über alle Maßen gelobt, denn man bekommt vom Ben Nevis nie das, was man erwartet hat.“

Jahr für Jahr klettern Tausende auf Großbritanniens höchsten Berg an der schottischen Westküste, und wenn sie Glück haben, dann erleben sie ihn von seiner freundlichen, sonnigen Seite. Doch oft genug ist Ben Nevis abweisend und kalt oder, wenn man Pech hat, gefährlich. Der Gipfel ragt so hoch in den Himmel hinein, dass er sein eigenes Wetter produziert mit der Folge, dass die Wetterumschwünge legendär sind und nicht selten die Bergrettung auf den Plan rufen.

Ben Nevis: Die Highlands zu Füßen
Ben Nevis: Die Highlands zu Füßen

Ben Nevis: Mehrere Wanderstrecken 

Verschiedene Strecken mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden führen auf den Gipfel. Der bekannteste ist ein breiter und gepflegter Wanderweg aus Schottergestein, der in einem gemächlichen Zick-Zack-Kurs nach oben führt und einen steilen Aufstieg vermeidet. Die meisten Besucher wählen diesen Weg, doch selbst diese Streckenführung sollte man nicht unterschätzen und für den Aufstieg rund vier Stunden Zeit einplanen.

Wir, das ist eine Gruppe mit insgesamt fünf Wanderern, haben uns allerdings für eine andere Route entschieden, die deutlich länger ist und dafür sorgt, dass wir in den ersten fünf Stunden der Tour keinen anderen Wanderer treffen und stattdessen die Bergwelt der westlichen Highlands kennenlernen.

Unser Start ist beim Flüsschen Water of Nevis. Bei der Höhle Samuel´s Cave (gälisch: Uamh Shomhairle) befindet sich ein Parkplatz. Von der sprichwörtlichen Dramatik den Ben Nevis-Massivs ist hier und in der ersten Stunde unserer Wanderung noch nichts zu spüren. In einiger Entfernung haben Wildcamper ihre Zelte aufgeschlagen, und sogar das Wetter spielt mit.

Ben Nevis: Das erste Etappenziel

Das erste Etappenziel sind die Ruinen bei Steall und der gleichnamige Wasserfall. Nun beginnt ein zäher Aufstieg entlang des Flusslaufs von Allt Coire Giubhsachan. Die Wälder und Wiesen der Nevis-Schlucht lassen wir nun hinter uns und gehen auf die Felswände zu, die sich in einiger Entfernung vor uns aufbauen.

Wir wandern durch ein weitläufiges Tal, das aussieht, als sei es mit einem gigantischen Speiseeis-Portionierer aus dem Fels geschabt worden. Jeder Grashalm scheint still zu stehen, und nicht einmal der Wind ist zu hören. Es ist, als erstarre bei Allt Coire Giubhsachan jede Bewegung der Natur. Wir befinden uns nun bereits rund 800 Meter über dem Meeresspiegel. Die umliegenden Felshänge sehen aus wie gekrümmte Krallen, die sich nach einsamen Wanderern ausstrecken.

Ich muss an den Bericht von W.H. Murray denken. Obwohl wir noch Stunden vom eigentlichen Gipfel entfernt sind, zeigt das Massiv bereits seine unerwartete Seite: Es ist heiß. Ich habe mit Nebel und Regen gerechnet, sogar mit Schneeverwehungen, aber nicht mit Temperaturen um 20 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein.

Ben Nevis: Eine Kraftanstrengung

Nun folgt die erste, echte Kraftanstrengung des Tages. Vor uns liegt Carn Mor Dearg, einer der höchsten Gipfel der Highlands (1223 Meter). An ihm müssen wir vorbei, wenn wir noch höher hinauf wollen. Die umliegenden Berge sind an dieser Stelle wie ein Hufeisen angelegt, und Ben Nevis markiert die Westflanke dieser Formation.

Er hat von unserer Position aus gesehen nicht mehr seine gewohnte, rundliche Form, die man von Postkartenmotiven kennt. Von Norden aus betrachtet ist Ben Nevis eine steile Felsnadel, deren Schatten sich bedrohlich über unseren Weg legt.

Ben Nevis: Der alte Vulkan

Ben Nevis war vor rund 425 Millionen Jahren ein Vulkan, der schließlich auf einer Fläche von rund 2,5 Kilometern Durchmesser in sich zusammenstürzte. Dieses Phänomen ist inzwischen weltweit bei anderen Vulkanen beobachtet worden. Es war jedoch der englische Geologe Sir Edward Bailey (1881-1965), der es anhand des Ben Nevis erstmals genauer beschrieb.

Vor uns liegt nun ein Grat, und ich vermute, dass er zu der Abbruchkante des alten Supervulkans gehört. Der Kulisse eines Abenteuerfilms ähnlich zieht sich dieser Grat in einem eleganten, geschwungenen Bogen vom Carn Mor Dearg bin zum Ben Nevis hinauf.

Schon jetzt liegen uns weite Teile der Highlands zu Füßen. Das Hochdruckgebiet gewährt uns einen Blick, wie er wohl nur wenige Tage im Jahr möglich ist. Die Konturen der Highland-Gipfel liegen wie unter einem Blauschleier und zeichnen sich gleichzeitig scharf gestochen gegen den Himmel ab. Es ist einer der grandiosesten Ausblicke, die man sich nur vorstellen kann.

Ben Nevis: Der Gipfel

Als wir schließlich oben auf dem Gipfel ankommen, wartet Ben Nevis mit einer weiteren Überraschung auf uns. Auf einem Hoch-Plateau verwandelt er unser Hochland-Abenteuer in einen sonntäglichen Familienausflug. Nach den vielen Stunden in der Einsamkeit der schottischen Bergwelt, werden wir mit Bohei empfangen. Auf dem Gipfel ist so viel Trubel wie auf einer Kirmes. Kinder schmeißen Schneebälle, Familien stellen sich zum Gruppenbild zusammen. Vor dem Gipfelkreuz, das die allerhöchste Stelle markiert, hat sich eine Warteschlange gebildet.

Die Ruine einer ehemaligen Wetterstation findet hingegen wenig Beachtung. Hier harrte der schottische Polarforscher William Speirs Bruce (1867-1921) aus und sammelte Temperatur- und Luftdruckdaten. Er sah den Aufenthalt auf dem Ben Nevis als Vorbereitung auf die harschen Bedingungen in den Polarregionen an.

Die Highlands wirken wie mit blauer Wasserfarbe gezeichnet. In einer hellen Schlangenlinie windet sich ein Weg hinunter. Das ist der direkte Weg zurück ins Tal, der jedes Jahr von Tausenden Wanderern und Ausflüglern genutzt wird. Gestochen scharf sind in der Entfernung der Atlantik und die Berge der Insel Rhum zu sehen. In scheinbarer Nähe liegt nun schon die dunkelblaue Wasserfläche von Loch Linnhe bei Fort William vor uns. Sie umrahmt Ardgour, eine der einsamsten Regionen Schottlands.

Ben Nevis: Der Rückweg

Wir machen uns auf den Rückweg, und selbst um diese Uhrzeit, gegen 17.00 Uhr, treffen wir Wanderer, die sich noch auf den Weg gemacht haben und uns nun entgegenkommen. Der Ben Nevis hat nun wieder seine gemütlich, runde Form angenommen, die er auf seiner Westflanke präsentiert.

Fitness: Die beschriebene Tour wurde von den Teilnehmern mit einer guten, aber durchschnittlichen Fitness absolviert. Regen und nasses Geröll hätten die Bedingungen deutlich erschwert.

Anreise: Es kann hilfreich sein, sich mit einem Taxi zum Ausgangspunkt bringen zu lassen und den Abstieg so zu gestalten, dass er beim eigenen Fahrzeug endet.

Aufstieg: Die gewählte Strecke ist nicht markiert und als Wanderweg ausgewiesen. Kenntnisse im Kartenlesen und bei der Orientierung sind unerlässlich.

Unterkunft: Das Glen Nevis Youth Hostel befindet sich direkt am Einstieg des von vielen Besuchern genutzten Wanderweges.

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